Wie die Idee eines Bauhaus-Archivs entstand
Wie wurde das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung zu dem, was es heute ist? In einer dreiteiligen Serie beleuchtet bauhaus stories die Geschichte der Einrichtung.
Die Initialzündung für das Bauhaus-Archiv ist dem Kunsthistoriker Hans Maria Wingler zu verdanken. Er selbst kam über die Tapete zum Thema Bauhaus: Im Auftrag der Firma Rasch, die 1929 gemeinsam mit dem Bauhaus Tapeten entwickelt hatte und seitdem unter diesem Namen vermarktete, begann er 1954, zunächst zum 25-jährigen Jubiläum dieser Produktionsserie und schließlich zum Bauhaus allgemein zu forschen. 1955 lernte er bei der Eröffnung der Hochschule für Gestaltung in Ulm den als Festredner aus den USA angereisten Walter Gropius kennen. Diese Begegnung beflügelte Winglers Forschungsarbeit: Gropius vermittelte ihm nicht nur Kontakte zu Ehemaligen des Bauhauses sowie Forschungsstipendien in den USA, sondern war lebendiger Anreiz für den Gedanken, einen gemeinnützigen Verein mit dem Ziel zu gründen, sämtliche „auf die Tätigkeit und das kulturelle Ideengut des Bauhauses bezogenen Dokumente“ zu sammeln. Seine auf einer jahrelang aufwendig zusammengetragenen Material- und Dokumentensammlung basierenden Erkenntnisse zum Bauhaus publizierte Wingler 1962 mit seinem Standardwerk Das Bauhaus 1919-1933 Weimar Dessau Berlin, das er in einer späteren Ausgabe um den Zusatz und die Nachfolge in Chicago seit 1937 erweiterte. Bei der Erarbeitung des Buchs stand er in engem Kontakt mit Personen, die selbst noch am Bauhaus tätig gewesen waren und solchen, die sich bestimmten Prinzipien des Bauhauses verpflichtet fühlten.
Ein Ort für Dinge und Ideen
Wingler setzte der ursprünglichen historischen Folge der Bauhaus-Orte Weimar, Dessau und Berlin durch die Gründung eines physischen Archivs mit Objekten aller Art einen weiteren Meilenstein hinzu. Es würde einen neuen Ort markieren, der zunächst allerdings Darmstadt hieß. Gropius legte als geschichtsbewusster Akteur mit seinem Privatarchiv den richtungsweisenden Grundstein für die geplante Sammlung. Der Gründungsdirektor des Bauhauses hielt im Alter von fast 78 Jahren auch die Eröffnungsrede im April 1961, als das Bauhaus-Archiv im Ernst-Ludwig-Haus auf der Mathildenhöhe in Darmstadt eingeweiht wurde. Das Institut trat an mit einem bereits ambitionierten Programm, das für die lebendige Erinnerung an und weiterbestehende Inspiration durch das Bauhaus stand. Zum 50-jährigen Gründungsjubiläum des Bauhauses wurde 1968 eine umfassende Retrospektive organisiert, die auch die politische Tragweite der Aufwertung einer Schule verdeutlicht, die zum Anknüpfungs- und Identifikationspunkt für die Kultur des Landes wurde. Der konkrete Ort des Bauhaus-Archivs brachte neuen Schwung in die Sammeltätigkeit. Unermüdlich suchte Wingler Ehemalige auf, um ihre Erinnerungen und Erinnerungsstücke zu gewinnen und überzeugte Familien auf der ganzen Welt davon, dass ihre Erbstücke aus dem Bauhaus in diesem Archiv am besten aufgehoben sind. Die Sammlung wuchs – wie auch die Aufgaben des Vereins, sodass Wingler über erforderliche neue Räume nachdachte und Gropius persönlich mit seinem Büro TAC (The Architects Collaborative mit Sitz in Cambridge, Massachusetts) 1964 ein eigenes Gebäude für das Bauhaus-Archiv in Darmstadt entwarf.
Dieser Entwurf hat nichts von einem Prunkbau, wie man ihn womöglich bei einer Kulturinstitution erwarten könnte. Vielmehr erinnert er durch die aus der Industriearchitektur übernommene Dachform an Fabrikhallen, deren Inneres durch das seitlich einfallende Licht gleichmäßig ausgeleuchtet wird. Solche leicht wiedererkennbaren Shed-Dächer hatte bereits Gropius’ Kollege, der spanische Architekt Josep Lluis Sert, für die Atelierbauten von Joan Miro (1956) und Georges Braque (1959) wie auch für den gerade erst, im Sommer 1964, eröffneten Museumsbau der Fondation Maeght im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence verwendet. Diese Anleihe an Industriearchitektur spielt darauf an, dass hier etwas entsteht: Aus der Begegnung von bereitgehaltenem Material – hier den historischen Objekten und Dokumenten – und den das Gebäude betretenden Menschen soll etwas Neues hervorgehen. Schon der Entwurf weist das Bauhaus-Archiv also als einen Ort aus, an dem mit den Ideen des Bauhauses weitergearbeitet werden soll. Gleichzeitig will die Architektur selbst die Besuchenden einbeziehen, anregen und auf Inspirierendes einstimmen. Der vorgesehene Standort für das neue Gebäude lag ganz oben auf der Darmstädter Mathildenhöhe, an einem Hang. Doch die Stadt zögerte die Entscheidung für das recht kostspielige, relativ junge und in der westdeutschen Kultur vielleicht aus ihrer Sicht noch nicht hinreichend etablierte Bauhaus-Archiv hinaus. Tatsächlich gebaut wurde es schließlich in Berlin.