Ein Blick zurück – und zwei nach vorne
Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, über die architektonischen Vorläufer des Bauhaus-Archivs und den zukunftsweisenden Erweiterungsbau.
Das von Walter Gropius entworfene Gebäude des Bauhaus-Archivs − nach längerer Planungsphase Ende 1979 mit dem programmatischen Zusatz „Museum für Gestaltung“ eröffnet − gehört zu den bedeutendsten Bauten der Nachkriegsmoderne in Berlin. Mit seinen markanten Shed-Dächern, der wohl proportionierten Anordnung seiner Volumina und der wenn auch eigenwilligen, so doch eleganten Erschließung mittels einer geschwungenen Brückenrampe zählt das Haus, das Archiv und Museum zugleich beherbergt, zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt. Das bis in die Details erhaltene, denkmalgeschützte Haus und seine einzigartige Sammlung werden durch die Instandsetzung und bauliche Erweiterung in ihrer hohen Qualität und Bedeutung gewürdigt. Dadurch kann das völlig übernutzte Gebäude wieder entlastet und die hervorragende Sammlung mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten angemessen gezeigt werden. Schon zur Eröffnung 1979 berichteten die Tageszeitungen, dass das neue Haus zu klein für die Erfordernisse der Einrichtung sei. Tatsächlich erreichten sowohl die Ausstellungsräume und Depots als auch die Büros und die Bibliothek in kürzester Zeit ihre Kapazitätsgrenzen. In den nachfolgenden Jahrzehnten konnte auf die dynamische Entwicklung der Museen und ihre neu hinzukommenden Aufgaben, etwa im Bereich der vielfältigen Bildungsangebote, nur unzureichend reagiert werden.
Der Gründungsdirektor des Bauhaus-Archivs, Hans Maria Wingler, hatte bereits 1963 das Raumprogramm für das zu errichtende Haus erstellt, auf dessen Grundlage Walter Gropius und sein Büro TAC (The Architects Collaborative) ab 1964 den architektonischen Entwurf erarbeiteten. Für den damaligen Standort des Bauhaus-Archivs in Darmstadt vorgesehen und nach dem Umzug nach Berlin 1971 an die Bedürfnisse des neuen Grundstücks angepasst, strebte das Projekt − ganz den Vorstellungen der Zeit entsprechend − den Charakter eines Forums an. Die Adaption des Entwurfs auf das Berliner Gelände brachte nicht nur bauliche, sondern auch konzeptionelle Veränderungen für das Bauhaus-Archiv. Als Protagonist der Architekturszene im Umfeld der Harvard University vertraten Gropius und sein junges TAC-Team eine Auffassung, die dem alten Modell des Musentempels eine neue, als demokratisch empfundene Form des Museums entgegensetzte. Die ausgestellte Kunst spielte nicht mehr die uneingeschränkte Hauptrolle, sondern die Besucher*innen als selbstbestimmte und aktive Subjekte traten gleichberechtigt hinzu. Als Dritter im Bunde ist die Architektur zu nennen, die große Freiheiten zuließ, sowohl im Innen- als auch im Außenraum.
Gleichzeitig und im gleichen Geist mit den von Josep Lluís Sert, dem Nachfolger von Gropius an der Harvard Graduate School of Design, geschaffenen Museen für die Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence und für das Miró Museum in Barcelona, ist das Gebäude des Bauhaus-Archivs als begehbare Architekturlandschaft angelegt. Im ersten Entwurf für Darmstadt noch stärker ausgeprägt, konzentriert sich die partizipatorische Struktur in der Berliner Umsetzung auf die lange Brückenrampe. An der Hauptstraße beginnend, steigt sie sanft an, öffnet sich auf Podesten, führt über das Dach des Gebäudes zwischen den Kuben der Ausstellungshallen hindurch und schwingt schließlich in einer Schleife zum Museumseingang aus. Hier hat nicht nur Le Corbusiers Konzept der „promenade architecturale“ Pate gestanden, sondern sicher auch sein 1960–1963 ausgeführtes Gebäude für das Carpenter Center for the Visual Arts auf dem Campus der Harvard University − der einzige Bau Le Corbusiers in den USA. Mit seinem räumlichen Erfahrungsangebot für die Besucher*innen reiht sich auch das Gebäude des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung in diese Kategorie der architektonischen „Wahrnehmungsmaschinen“ ein.
Mit dem konsequenten Ausbau der Sammlung öffneten sich in den 1980er-Jahren die Möglichkeiten zu größeren Ausstellungen, die sich überwiegend aus dem eigenen Fundus speisten. In dieser Zeit etablierte das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung Stellung und Ruf in der internationalen Fachwelt. Es war immer schon ein Anliegen unserer Einrichtung, nicht ausschließlich zum Bauhaus zu sammeln, wenngleich dies das Hauptthema war. Strömungen aus der Zeit vor dem Bauhaus, parallele Entwicklungen und spätere Anknüpfungen stellen ein bis heute wichtiges Feld dar, um Herkunft und Einbettung des Bauhauses sowie Vergleiche aufzeigen zu können. Der zeitlich gesetzte Rahmen „von 1912 bis 1970“ ist selbstverständlich im Lauf der Zeit mitgewachsen. Mit der politischen Wende 1989 begann auch für unser Museum eine neue Ära. Das nun einsetzende große Interesse an der Stadt Berlin, der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands, brachte eine stetig wachsende Zahl an Touristen und ein neues Publikum ins Haus. In den vergangenen Jahren kamen Menschen aus aller Welt zu uns, ihr Anteil machte mehr als achtzig Prozent unserer jährlich 120.000 Besucher*innen aus. Durch Befragung wissen wir, dass sie jung, durchschnittlich 30 Jahre alt sind und sich besonders für Design und Architektur interessieren. Das Gebäude des Bauhaus-Archivs hat sich dabei als ein flexibler Museumsbau erwiesen, der vielfältige Möglichkeiten zur Bespielung bietet – trotz oder vielleicht sogar wegen der baulich bedingten Einschränkungen.
Erste Schritte zum neuen Museum
Das Haus zu betreten, erfüllte mich immer mit einem ausgeprägten Gefühl der Freude − an den sorgfältigen Details, der Struktur und Kombination der verwendeten Materialien, den angenehmen Proportionen und auch an der „demokratischen“ Gleichbehandlung aller Büroräume ohne Unterschiede von Rang und Aufgabenfeld der Mitarbeiter*innen. Erste Absichtserklärungen aus der Politik, der Beengtheit mit einem Erweiterungsbau abzuhelfen, setzten um das Jahr 2000 ein. Es folgte ein 2005 ausgerufener Ideenwettbewerb unter sechs eingeladenen, renommierten Architekturbüros, um das Finanzierungsmodell einer Public Private Partnership auszuloten. Das Ergebnis war ein überzeugender Entwurf des damals noch wenig bekannten japanischen Büros SANAA, der jedoch in Ermangelung eines geeigneten Investors unausgeführt blieb. Erst das bevorstehende 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses im Jahr 2019 gab 2015 den endgültigen Anstoß, die längst fällige Erweiterung des Hauses ernsthaft anzugehen.
Das Konzept für das neue Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung sieht eine räumliche Gliederung nach den Hauptfunktionen vor: So wird das Bauhaus-Archiv mit Studiensaal und Bibliothek, Veranstaltungsräumen sowie den Büros für die Mitarbeiter*innen im Gebäude von Walter Gropius verbleiben. Dagegen wird das Museum für Gestaltung mit Foyer und Besucherservice sowie sämtlichen Ausstellungräumen im Neubau angesiedelt sein. Diese Aufteilung ermöglicht, den bestehenden Bau der ursprünglichen Absicht gemäß als Forum zu nutzen. Mit der Öffnung der Fenster und dem Rückbau der eingestellten Wände werden wir die Qualität der Architektur wieder freilegen können und damit auch der „promenade architecturale“ zu ihrem Recht verhelfen.
Die Vorstellung einer Musealisierung des Bauhauses mutete Walter Gropius wie auch anderen maßgeblichen Unterstützer*innen aus dem Kreis derjenigen, die am Bauhaus lernten und lehrten, wie die Verabschiedung in die Geschichte an. Daher nahmen sie in den 1960er-Jahren eine eher negative, zumindest aber zwiespältige Haltung gegenüber der Institution Museum ein. Der Skepsis von damals treten wir noch heute offensiv gegenüber: Auch wir möchten unser Museum nicht als einen Musentempel verstanden wissen, sondern vielmehr als einen Ort des Austauschs – offen für alle.
Der von Volker Staab entworfene Neubau liefert die optimalen Voraussetzungen für ein solchermaßen dynamisch aufgefasstes Museum: Kommunikativ und interaktiv reagiert es auf Veränderung und Entwicklung, regt zum Nachdenken, Diskutieren und Handeln an. Mit einem differenzierten Angebot an Ausstellungsräumen kann es ein breites Spektrum an Formaten erarbeiten und weiterentwickeln. Besonders wichtig ist uns, dass das neue Museum für Gestaltung als spezifischer und einmaliger Ort ein wichtiger Baustein im öffentlichen Leben der Stadt wird. So werden auch das bauhaus-café und der bauhaus-shop Orte der Begegnung sein, Treffpunkte, die unabhängig vom Museumbesuch zum Verweilen einladen.
Dass ein solches Programm auf einem nicht sehr großen Terrain eine Herausforderung an die im Wettbewerb teilnehmenden Architekt*innen sein würde, war allen Beteiligten am Verfahren bewusst. Fingerspitzengefühl würde notwendig sein, um das bestehende Haus von Walter Gropius nicht zu verstellen oder gar in eine Hinterhofsituation geraten zu lassen. Wäre die Fortschreibung der niedrigen und landschaftsbezogenen Bebauung in Relation zur benachbarten Villa Von der Heydt die richtige Entscheidung oder eine selbstbewusste urbane Haltung, die sich gegenüber den nach 1989 entstandenen siebengeschossigen Bürogebäuden an der Klingelhöferstraße behauptet? Die Jury entschied sich mit einstimmigen Votum für den Entwurf von Volker Staab – ein ausgezeichnetes Ergebnis für einen überzeugenden Vorschlag, der zugleich sensibel in der Einpassung auf dem Gelände ist und das anspruchsvolle Programm mit einem räumlich überzeugenden Gesamtkonzept einlöst. Er öffnet den Stadtraum, setzt mit dem gläsernen Turm ein architektonisches Zeichen und respektiert zugleich den Bestandsbau. Wir freuen uns, dass mit dieser Entscheidung eine neue Zeit für das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung begonnen hat.
Der Artikel erschien 2015 in der Publikation „Moving forward“ des Bauhaus-Archivs und wurde aktualisiert.