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Otti Berger, Tasttafel aus Fäden, 1928, 14 x 57 cm, Bauhaus-Archiv Berlin

„Wenn man zuhört, kann man immer noch Otti Bergers Tastsinn spüren”

#backstage
von 
Nina Wiedemeyer
, 13 Min Lesezeit

Daniel Low-Beer von der Arks Foundation war ein großzügiger Förderer der Publikation „Otti Berger – Weaving for Modernist Architecture“, die von der Berliner Künstlerin Judith Raum in Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Archiv Berlin herausgegeben wurde. Diese Unterstützung machte das überaus komplexe künstlerische Rechercheprojekt über die Bauhaus-Absolventin und Textildesignerin Otti Berger überhaupt erst möglich. Die Familie Low-Beer gründete 2019 die Arks Foundation, um das Gebäude der einst ihrem Großvater Walter Low-Beer gehörenden Textilfabrik wiederaufzubauen. Daniel Low-Beer spricht mit der Kuratorin Nina Wiedemeyer über seine Verbindungen zum Bauhaus, die europäische Geschichte und die Sinnlichkeit von Stoffen.

Was interessiert Sie an der Textildesignerin Otti Berger?

Mein Großvater, Walter Low-Beer, berührte einen Stoff immer mit den Lippen, wie man an einem Glas Wein nippen würde. Seine Finger verrieten ihm, woher die Materialen stammten und wie sie gewebt worden waren. Mein Großvater sagte immer, dass wir unseren Tastsinn für die Stoffe um uns herum wiedergewinnen müssten.

In meinen Augen hatte Otti Berger den feinsten Tastsinn des 20. Jahrhunderts. Sie hat meinen Tastsinn geschärft. Sie webt Stoffe mit einem Hauch von Schnee und erklärt:

„… um aber einen weißen Stoff zu weben, so kann das Glitzern des Schnees sich mit dem harten Glanz des Porzellans und mit der Durchsichtigkeit einer Blüte verbinden.“
(Otti Berger, Stoffe im Raum, 1930)

Otti Berger war bewusst, wie reich die Berührung als Sinn ist, das Umami der Sinne, das im Bauhaus eingesetzt wurde, um die Sensibilität der Künstler*innen zu wecken.

 

Ihr Tastsinn besteht aus mehreren Schichten. Die erste ist das Erspüren des Materials und seiner Struktur mit den Händen. Otti äußerte dazu: „[D]as Begreifen eines Stoffes mit den Händen kann ebenso schön empfunden werden wie eine Farbe vom Auge oder ein Klang im Ohr.“ Sie war eine Schülerin von Paul Klee, der erklärte, dass beim Berühren die „Spuren der einzelnen Handbewegungen … wie Fußspuren im Schnee“ offenbar werden.

 

Die zweite Schicht ist die visuelle Berührung. Otti Berger wurde auch von László Moholy-Nagy unterrichtet und von der visuellen und taktilen Herausforderung der Fotografie beeinflusst. Die visuelle Welt ist nicht virtuell und flach wie bei einem Zoom-Anruf, sondern wird vom Einfall des Lichts auf die Textur des Materials bestimmt. Das erzeugt die Farbtiefe oder das Leuchten das Schnees.

 

Die dritte Schicht ist die unterbewusste Berührung, die sie in „Stoffe im Raum“ als von Freud beeinflusst beschreibt. Dort heißt es: „[M]an muss die Struktur nicht nur mit dem Gehirn erfassen, sondern mit dem Unterbewusstsein erfühlen.” Gegenstände haben eine Wirkung auf unser Unterbewusstsein und Stoffe verleihen der Moderne ein Gefühl von Wärme. Wie in der Villa Tugendhat können sie ein Haus in ein Heim verwandeln.

 

In unserem Gehirn gibt es zwei getrennte Schaltkreise, den emotionalen und den physischen, der in jedem Zentimeter Haut mit 5.000 Sensoren für Hitze, Kälte, Schmerz und soziale Berührung verbunden ist.

Schließlich nahm Otti Berger auch die Bewegung in Stoffen wahr: in den tanzenden Stoffen, die sie aus ihrer mitteleuropäischen Heimat ins Bauhaus mitbrachte, und in den Zebra-Stoffen, die ein Pferd buchstäblich in der Bewegung verschwinden lassen. „Wir wollen durch das Material zur Auflösung des Materials kommen.“ Ein Stoff „kann an sich schon Musik sein“. Wenn man zuhört, kann man immer noch Otti Bergers Tastsinn spüren.

 

 

 

Porträt Otti Berger, Foto: Lucia Moholy, ca. 1927, Bauhaus-Archiv Berlin, © VG Bild-Kunst Bonn, 2024
Otti Berger, Muster für Scher, ca. 1932/33, © Uta Neumann, Berlin/Amsterdam

Können Sie uns etwas über die Verbindung Ihrer Familie zu Schindlers Arche und zum „Museum der Überlebenden“ erzählen, das Sie im Mai 2025 eröffnen werden?

Mein Großvater Walter Löw-Beer stand 1938 an einer Grenzlinie, die gerade die Tschechoslowakei und Europa in zwei Hälften geteilt und die jüdische Welt in Stücke gerissen hatte. Die auf der Münchener Konferenz von 1938 vereinbarte Grenzlinie verlief genau entlang eines Flusses, der durch die Löw-Beer-Fabrik floss, die später zu Schindlers Arche werden sollte.

Walter stand einem ganzen Bataillon von NS-Soldaten auf der anderen Seite der Brücke gegenüber. Sie verteilten sich auf der anderen Seite des Flusses. Walter hielt eine Landkarte hoch, auf die sich Hitler und der britische Premierminister Chamberlain geeinigt hatten.

Er wich keinen Zentimeter von der Stelle: ein Jude, der die Grenzen einer zersplitterten Tschechoslowakei verteidigte. Er sagte den Soldaten, sie sollten ihre Befehle und die Grenzen überprüfen, was sie auch taten. Auf diese Weise hielt Walter Löw-Beer die NS-Invasion drei Tage lang auf.

Ich frage mich oft, woher mein Großvater die Kraft nahm, sich zu behaupten. Ich glaube, er wollte eine europäische Identität im Herzen Europas schützen. Er weigerte sich, dieses Herz zu zerstückeln – in einen tschechischen, einen jüdischen, einen österreichischen und einen deutschen Teil.

Die Fabrik unserer Familie wurde uns von den Nazis und von Oskar Schindler gestohlen, der auch ein Nazi war. Oskar und Emilie Schindler haben später ein Konzentrationslager gebaut, das unter der Leitung von Schindler stand und in dem 1.200 auf Schindlers Liste stehende Juden gerettet wurden – wie es im Film von Stephen Spielberg zu sehen ist. Die Fabrik steht immer noch, mit den schönen und unvergesslichen historischen Gebäude und dem Tor – alles wie 1945.

Im Jahr 2017 erhielt unsere Familie eine offizielle Einladung, ein Wochenende in der Villa Tugendhat zu verbringen. Die Behörden von Brno erwarteten ein paar Überlebende, aber es kamen fast 100 aus Kanada, Brasilien, Australien, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz. In der Tschechoslowakei gab es keine Überlebenden.

In den Jahren 2019/2020 kauften wir unsere Fabrik zurück, die in Konkurs gegangen war, und sicherten das Gelände. Wir erhielten einen bescheidenen Zuschuss von der EU für die Gründung eines Museums. Unser Ziel war, gemeinsam mit Studierenden aus der Tschechischen Republik, Ungarn, Deutschland, Österreich, Polen und der Slowakei für die nächste Generation ein Museum der Überlebenden zu gestalten.

„Kann sich ein Einzelner gegen ein Tötungssystem und gegen Diskriminierung wehren? Wie gestalten Überlebende unsere Welt?“

Das Museum wird im Mai 2025 zum 80. Jahrestag des Endes vom Zweiten Weltkrieg in Schindlers Arche eröffnet. Gezeigt werden Augenzeugenberichte, das Leben und die Kunst von Überlebenden, und zwar an dem Ort, an dem sich die Ereignisse zugetragen haben, und auf der Grundlage der 110.000 Stunden an Schilderungen von Überlebenden, die von der Shoah Foundation zusammengetragen wurden. Kann sich ein Einzelner gegen ein mörderisches System und Diskriminierung zur Wehr setzen? Welchen Einfluss haben Überlebende auf unsere Welt? Es ist ein Ort des Lichts, der Überlebenden gewidmet ist, die keine Schuldgefühle haben sollten. Sie haben meine und unsere Welt gerettet. Wir brauchen noch Unterstützung, um Schindlers Arche zu retten.

 

 

Ihre Familie hat auch eine Verbindung zu einem berühmten Haus, das Mies von der Rohe und Lilly Reich in Brno bauten. Welche Beziehungen haben Sie zum Bauhaus? Erzählen Sie uns über Ihre erste Ausstellung „Starting at Zero“.

Ein Zweig unserer Familie hat den Bau der Villa Tugendhat in Auftrag gegeben. Ausgeführt wurde er von Mies van der Rohe und Lilly Reich, die damals im Bauhaus die Leitung der Architektur- und Textilabteilung innehatten. Das Haus war ein Hochzeitsgeschenk für Greta Tugendhat (geborene Löw-Beer) von ihren Eltern Alfred und Marianne Löw-Beer. Die Villa Tugendhat wurde von deutschen Architekten und tschechischen Kunsthandwerkern für den Lebensstil einer modernen jüdischen Familie gebaut. Sie lebten dort nur acht Jahre bis 1938.

 

Im Juni 2024 eröffneten wir in der Villa Tugendhat unsere erste Ausstellung – „Starting at Zero“, in der die Arbeiten von Otti Berger, Anni Albers, Lilly Reich und Lucie Rie gezeigt wurden. Wie haben es diese Künstlerinnen geschafft, wieder von vorn anzufangen? Wie haben Überlebende unsere Welt so umfassend mit Kunst, Textilien, Keramik und Architektur geprägt? War Kunst, Schönheit und Freude an der Herstellung ihre Antwort auf den Krieg? War der Neuanfang eine schöpferische Kraft?

 

Ihre Kunst und ihr Leben veranschaulichen die Rolle von Überlebenden, die unsere Welt gestalten, und den Sinn der Worte, die in den Ring eingraviert sind, den Schindler 1945 in unserer Fabrik geschenkt bekam: „Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.“

 

Wir weben gerade den Teppich neu, den Lilly Reich im Auftrag von Alen Müller-Hellwig für die Villa Tugendhat anfertigte. Lilly Reich war vielleicht die Textilkünstlerin mit dem größten Bezug zur Baukunst. Sie hatte schon 1910 bei Josef Hoffmann studiert und arbeitete jahrzehntelang gleichberechtigt mit Mies van der Rohe zusammen. Sie brachte mit ihrer Verwendung von Stoffen den „Mut zur Farbe“, die Materialität, einen unfehlbaren Geschmack und eine innere Wärme in die Moderne.

 

Wir zeigen die Töpferarbeiten von Lucie Rie, die modernen Dekorationsgegenständen ohne Verzierung sehr, sehr nahe kommen. Sie hatte Unterricht bei den Mährern Adolf Loos und Josef Hoffmann. Im Jahr 1938 floh sie aus Österreich und durfte nach ihrer Ankunft in Großbritannien zunächst nichts als Knöpfe herstellen. Es dauerte 25 Jahre, bis sie endlich neu anfangen und ein zweites Mal die Töpferei des 20. Jahrhunderts prägen konnte.

 

Wir werden die Textilien von Otti Berger und Anni Albers in die Ausstellung integrieren, in die textilen Raumteiler und Wände zum Aufhängen der Arbeiten. Anni Albers überlebte und war prägend für moderne Textilarbeiten, Otti Berger wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Deshalb ist sie eine besondere Herausforderung, aber wir glauben, dass ihr Vermächtnis durch das neue Buch und Ausstellungen dennoch überleben kann, um unsere Welt zu gestalten.

 

Immer, wenn ich einen Stoff anfasse, spüre ich meinen Großvater und die sensorischen Fähigkeiten von Otti Berger.

Daniel Low-Beer
Portrait Daniel Low-Beer, Foto Bjoen-Steinz

Daniel Low-Beer ist der Enkel des letzten jüdischen Besitzers der Textilfabrik, die zu Schindlers Arche wurde. Durch Schindlers Liste wurden so 1200 Menschen gerettet. In den Jahren 2019-2020 kaufte Low-Beer die zerstörte Fabrik zurück, um ein Museum der Überlebenden einzurichten, das im Mai 2025 eröffnet werden soll. Zuvor war er ein Jahrzehnt lang am Aufbau des Globale Funds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria beteiligt. Heute arbeitet er bei der Weltgesundheitsorganisation. Er arbeitete für Roland Berger & Partners und in Südafrika an der HIV-Prävention. Er erwarb einen erstklassigen Abschluss an der Universität Oxford und promovierte an der Universität Cambridge über die Epidemiologie von HIV. Er hat das Buch „Arks: the Low-Beer story behind Schindler’s List and Villa Tugendhat“ geschrieben. Ein Teil der Familie Low-Beers gab für ihre Tochter Greta Tugendhat (geborene Greta Low-Beer) die von Mies van der Rohe und Lilly Reich erbaute Villa Tugendhat in Auftrag.

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