5+1 Fragen an Michal Friedländer über das Festival „bauhaus music“
Seit 2021 wird mit dem interdisziplinären Forschungsprojekt “bauhaus music” der Zusammenhang von Bauhaus und Musik untersucht. In diesem Rahmen findet im Oktober 2024 bereits zum zweiten Mal das gleichnamige Musikfestival statt. In Berlin treffen wir die Pianistin Michal Friedlaender, die uns als Teil der künstlerischen Leitung des Festivals 5 + 1 Fragen beantwortet.
Liebe Michal, welche Bedeutung hatte Musik damals für die Bauhäusler*innen?
Musik war zwar nicht Teil des offiziellen Lehrplans am Bauhaus, aber war dort trotzdem allgegenwärtig. Viele Bauhäusler*innen setzten sich in ihrer Arbeit mit Musik auseinander, musizierten in ihrer Freizeit oder waren sogar professionell ausgebildete Musiker*innen. So bezeichnete zum Beispiel Wassily Kandinsky seine Werke als Kompositionen mit Rhythmus und Melodie. Gertrud Grunow, die als Musikpädagogin am Bauhaus „Harmonielehre“ unterrichtete, ließ sich in ihrem Unterricht sehr stark von den Theorien Alexander Skrjabins über die Synthese von Musik und Farbe beeinflussen.
Und dann sind da noch all die Bauhäusler*innen, die tatsächlich Musik produzierten: Lyonel Feininger war Pianist und spielte seinerzeit Bach rauf und runter. Er komponierte sogar eine eigene Fuge – Barockmusik war sehr wesentlich für die Denkweise der Bauhäusler*innen. Paul Klee war Geiger und ein großer Bewunderer Mozarts. Und dann gab es andere – wie zum Beispiel Oskar Schlemmer – die in sehr engem Kontakt mit zeitgenössischen Komponist*innen wie Arnold Schönberg, Igor Strawinsky und Paul Hindemith standen. Gemeinsam planten sie Projekte, meist in den Bereichen Theater, Bühne oder Oper.
Auch besuchten Komponist*innen regelmäßig die musikalischen Soirées, die am Bauhaus stattfanden. An diesen Abenden traten viele der modernsten zeitgenössischen Musiker*innen auf, etwa Henry Cowell.
Was heutzutage jedoch am meisten mit Musik am Bauhaus in Verbindung gebracht wird, ist die berühmte Bauhaus-Kapelle: eine Gruppe Studierender, die nie als Musiker*innen ausgebildet worden sind. Das hielt sie aber nicht davon ab, irgendein Instrument oder auch nur einen Alltagsgegenstand in die Hand zu nehmen und gemeinsam aufzutreten. Die Bauhaus-Kapelle war ein Versuch, die Vorgänge und gesellschaftlichen Bewegungen in der damaligen Welt auf irgendeine Art und Weise in Musik zu übersetzen. Das musikalische Leben am Bauhaus hatte also viele verschiedene Facetten.
„bauhaus music“ findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Worauf können sich die Besucher*innen bei dieser Ausgabe freuen? Und kannst du schon einen Tipp geben, wie es für „bauhaus music“ 2025 weiter geht?
Dieses Jahr gibt es mehrere aufregende neue Entwicklungen: Zunächst wechseln wir den Veranstaltungsort. Mit der ersten Ausgabe von „bauhaus music“ warfen wir 2023 einen Blick hundert Jahre zurück auf die Bauhaus-Woche – der historische Meistersaal war deshalb der perfekte Veranstaltungsort, der diese Perspektive in die Geschichte hinein noch verstärkt hat. Dieses Jahr sind wir sehr glücklich, in der Villa Elisabeth und in St. Elisabeth untergekommen zu sein – fantastisch vielfältige Räumlichkeiten, die wir als Proberäume, für die Konzerte und unsere Vermittlungsprogramme nutzen können.
Mit Cathy Milliken präsentiert dieses Jahr auch zum ersten Mal eine zeitgenössische Komponistin ihre Werke im Rahmen des Lunchkonzerts. Ich denke, dies ist eine wunderbare Ergänzung, ganz im Sinne des Bauhauses. Cathy Milliken wird außerdem im Vermittlungsprogramm mit Schüler*innen zusammenarbeiten und dabei eine besondere Methode anwenden, die sie „partizipatorischen Kompositionsprozess“ nennt. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse, die sie gemeinsam mit den Schüler*innen präsentieren wird.
Eine weitere Neuerung ist, dass wir in der diesjährigen Ausgabe viel größer denken. Letztes Jahr hatten wir nur ein Ensemble von Musiker*innen, dieses Jahr haben wir ein ganzes Kammerorchester engagiert: Das Deutsche Kammerorchester Berlin wird am Freitag den Mittelpunkt des Programms bilden. Die meisten von ihnen sind Musiker*innen des Orchesters der Komischen Oper. Karl-Heinz Steffens wird sie an diesem Abend dirigieren, und unser Solist wird der Violinist Kolja Blacher sein – ich hoffe diese kleinen Teaser reichen schon, um viele Menschen anzulocken.
Es wird ein wirklich schönes Konzert in St. Elisabeth werden! Letztes Jahr haben wir ein Kaleidoskop von Werken präsentiert, die den historischen Bezug zur Bauhaus-Woche herstellten – dieses Jahr gehen wir tiefer in einzelne Lebenswege hinein. So widmen wir dem Komponisten Stefan Wolpe ein ganzes Porträtkonzert am Samstag. Er ist für mich wirklich eine der faszinierendsten Figuren, die aus dem Kontext Bauhaus und Musik hervorgetreten ist.
Und zuletzt noch ein weiterer Höhepunkt: Mit einem sensationellen Fund beginnt das Festival. Die 1929/30 entstandene Avantgarde-Oper „Parabola and Circula“ des US-amerikanischen Komponisten Marc Blitzstein wurde im Zuge unserer Recherchen zum Musikleben am Bauhaus entdeckt. Sie sollte am Dessauer Theater uraufgeführt werden, wozu es jedoch nie kam. Beim Lunch-Konzert am 17. Oktober werden im temporary bauhaus-archiv nun erstmals Auszüge daraus zu hören sein.
Als Ausblick auf das nächste Jahr kann ich nur eins versprechen: Alles wird noch größer!
Du bist schon im zweiten Jahr Teil der künstlerischen Leitung des Festivals. Welche Aufgaben übernimmst du in dieser Rolle und welche Erfahrungen sind dabei besonders wichtig für dich in deiner Arbeit?
Zusammen mit Karl-Heinz Steffens und Kai-Hinrich Müller bin ich Teil eines dreiköpfigen Teams. Was das Programm angeht, arbeiten wir also wie ein Think Tank zusammen: Zunächst schreiben wir uns viele E-Mails und treffen uns dann zu ausgiebigen Abendessen, bei denen jeder von uns seine individuellen Perspektiven, Wünsche und Ideen für das Festival einbringen kann. Unser Ziel ist es, ein neues und interessantes Programm auf die Beine zu stellen, das wir auch umsetzen können. Ich übernehme viele organisatorische Aufgaben: Zum Beispiel bin ich verantwortlich für das Engagement von Musiker*innen und für die Suche nach Veranstaltungsorten für das Festival. Außerdem erstelle ich den Probenplan für alle Musiker*innen und koordiniere die Zeitabläufe sowie die Anmietung von Instrumenten.
Darüber hinaus ist es in diesem Jahr für mich besonders lohnend und interessant, tiefer in das Leben von Stefan Wolpe einzutauchen. Als ich das Programm zusammenstellte und mir seine verschiedenen Stücke ansah, dachte ich viel darüber nach, welche seinen musikalischen und persönlichen Weg sowie seine Beziehung zum Bauhaus am besten repräsentieren könnten. Auch hier möchte ich nicht zu viel verraten, sondern nur alle Leser*innen einladen, dieses besondere Konzert zu besuchen!
Einer der Gründe, warum dieses Werk für mich so bedeutsam ist, ist, dass mein Klavierlehrer – der verstorbene Professor Benjamin Oren, mit dem ich seit meinem zwölften Lebensjahr zusammenarbeitete – mit Irma Wolpe Rademacher an der Juilliard School studierte. Sie war Stefans zweite Frau und selbst eine fantastische Pianistin sowie eine wunderbare Lehrerin. Und so habe ich von Benjamin Oren viel über sie und Stefan gehört. Er machte mich auch mit einem ganz besonderen Werk von Stefan Wolpe bekannt, welches wir im Rahmen des diesjährigen Festivals aufführen werden: Die „Two Piano Suite – The Man from Midian“, ein Stück über die Geschichte Moses‘.
Gesellschaft und Musik sind eng miteinander verknüpft und auch „bauhaus music“ greift in diesem Jahr das hoch aktuelle Thema „Freiheit und Exil“ auf. Was können wir von der Musik am Bauhaus für unsere heutige Gesellschaft lernen?
Das ist eine schwierige Frage. Das diesjährige Motto hat eine doppelte Bedeutung. Einerseits war uns wichtig, das Thema künstlerische Freiheit aufzugreifen. Kai-Hinrich Müller war inspiriert von einem Zitat der Komponistin Ruth Crawford Seeger über ihren Besuch am Bauhaus: “The Bauhaus yesterday was an experience. It made a big impression on me. In fact, I was for a few minutes strongly tempted – to study there!! Have you seen pictures of the place? … It is the most optimistic place in feeling (I mean, the architecture, the space-feeling, the light) …. I felt released, freed.” Und dieses Gefühl der Freiheit, das aus der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Inspiration entsteht, ist etwas, das viele Bauhäusler*innen in dieser Zeit erlebt haben.
Exil könnte in diesem Sinne bedeuten, dass diejenigen, die emigrieren mussten, das Bauhaus in Form ihrer künstlerischen Denkweisen und schöpferischen Freiheit mitnahmen. Dies führte den Geist und die Ideen des Bauhauses an das Black Mountain College und zu all den anderen Orten, an denen sich ehemalige Bauhäusler*innen später wiederfanden.
Andererseits geht es bei dem Thema „Freiheit und Exil“ auch um persönliche Freiheit. Wie viele andere kulturelle und künstlerischen Bewegungen musste das Bauhaus in den „dunklen Zeiten“ – zu Beginn des Nazi-Regimes in Deutschland und später in Europa während des Zweiten Weltkrieges – schließen. Viele Bauhäusler*innen flohen ins Exil, wie zum Beispiel Kurt Schwitters, dessen Ursonate wir auch auf dem Festival spielen werden. Er war zwar kein Jude, aber seine Werke galten als „entartet“ und so musste er das Land verlassen. Auch Arnold Schönberg emigrierte, ebenso wie Stefan Wolpe. Sein Fall ist besonders schmerzhaft und tragisch – ich ermutige jeden zum Konzert am Samstag zu kommen, um mehr über sein Leben zu erfahren –, denn er zog zunächst nach Palästina und verließ es dann wieder im Jahr 1938 unter sehr dramatischen Umständen, um in die Vereinigten Staaten zu emigrieren.
Zur Bedeutung der Bauhaus-Musik und des Themas Freiheit und Exil für uns heute gibt es sicherlich viel zu sagen. In aller Kürze: Das Bauhaus war in der Weimarer Republik aktiv und schloss seine Türen in den 1930er-Jahren einige Jahre vor dem Krieg. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass wir uns als Gesellschaft mit den Jahren vor der Machtergreifung der Nazis intensiv auseinandersetzen. Wir müssen uns erinnern und wir müssen versuchen, die Verbindungen zu dem zu sehen, was heute in unserer Gesellschaft passiert. Viele Menschen sind über die politische Situation in Deutschland, Europa und der ganzen Welt beunruhigt. Die Geschichte des Bauhauses ist in gewisser Weise ein perfekter Ausgangspunkt um der Vergangenheit zuzuhören und aus ihr zu lernen – für unsere Zukunft.
Wie viel Bauhaus steckt mittlerweile in deiner eigenen Musik?
SEHR VIEL! Ich habe das große Privileg, nicht nur das Programm für das diesjährige Festival zu planen, sondern auch einige Stücke zu spielen – und ich freue mich sehr darüber! So bin ich beim Stück „Pierrot Lunaire“ dabei, außerdem übernehme ich den Klavierpart im Stück vom Bartók für Streicher, Percussion und Celesta. Die „Two Piano Suite“ von Stefan Wolpe spiele ich gemeinsam mit einem Kollegen der hebräischen Universität, der Rubin Academy in Jerusalem.
Wir haben beschlossen, dieses Stück auch gemeinsam in Jerusalem aufzuführen, da die Rubin Academy Stefan Wolpes Heimat war, als er nach Palästina kam, und er diese Abteilung an der Universität gegründet hat. Ich befinde mich also mitten im Proben- und Lernprozess für die verschiedenen Stücke – und habe so eine Menge Bauhaus in meinem Terminkalender.
Das Bauhaus-Archiv verfügt über die weltweit umfangreichste Sammlung zum Bauhaus. Wir haben eine Fotografie aus der Sammlung ausgesucht. Was fällt dir spontan dazu ein?
Oh, das Triadische Ballett, richtig? Es ist wunderbar! Es repräsentiert so sehr das 20. Jahrhundert – aber es ist auch so modern! Es ist … so anders.