“Die Übernahme eines künstlerischen Nachlasses bedeutet eine große Verantwortung”
Im Gespräch mit der Rechtsanwältin und Dozentin Anna Kathrin Distelkamp klären wir, warum Erben verpflichtet, wie Museen mit künstlerischen Nachlässen umgehen sollten und wie man bereits zu Lebzeiten das eigene Erbe für die Nachwelt aufbereiten kann.
Anna, nehmen wir an, du erbst einen künstlerischen Nachlass. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen musst du beachten, bevor du ihn bearbeitest?
Die Frage kann man nur schwer allgemein beantworten, denn die Konstellationen können sehr unterschiedlich sein. Zunächst wäre zu klären, was genau als „künstlerischer Nachlass“ vererbt wird. Ich gehe für unseren fiktiven Fall davon aus, dass Folgendes zum künstlerischen Nachlass zählt: das Eigentum und die (Mit-)Urheberrechte an Werken und Schriftgut sowie an sonstigen Archivalien, wie etwa Fotos von Werken, und ggf. eine Datenbank. Es stellen sich dann Fragen wie: Gibt es bereits ein Inventar, in dem die Werke aufgelistet sind? Wo sind die Werke, die im Eigentum der Erblasserin oder des Erblassers standen. Befinden Sie sich z.B. im Atelier oder bei Museen oder in anderen Sammlungen? Sind die Provenienzen der einzelnen Werke geklärt? Welche Art von Schriftgut gehört zum künstlerischen Nachlass?
Im nächsten Schritt kläre ich, ob es noch andere Personen gibt, die Rechte an dem Nachlass insgesamt oder an einzelnen Werken und Gegenständen haben. Daraus ergibt sich ein ganzer Fächer an Fragen, wie etwa: Bin ich alleinige Erbin*Erbe oder gibt es noch weitere Erb*innen, die mitentscheiden? Gibt es sogenannte Pflichtteilsberechtigte, die einen Anspruch auf Zahlung aus dem Nachlass haben? Welche Verträge über Rechte an den Werken und am Schriftgut laufen nach dem Tod der*des Künstler*in weiter? Das können beispielsweise (Dauer-)Leihverträge, Lizenzverträge, usw. sein. Dazu kommen die Fragen, die sich bei der Rechteklärung des Schriftguts, der übrigen Archivalien, der Datenbank, etc. stellen. Außerdem müsste ich mich natürlich um die Erbschaftssteuererklärung kümmern.
Da ist eine ganze Menge zu bedenken. Das Bauhaus-Archiv hat überraschend den privaten und künstlerischen Nachlass Jak R. Maiers geerbt. Gelten für erbende Museen andere Regeln als für Privatpersonen?
Für Museen gelten grundsätzlich zunächst die gleichen gesetzlichen Regelungen wie für Privatpersonen. Darüber hinaus gibt es viele Besonderheiten zu beachten, wie etwa: Museen sind häufig gemeinnützige Organisationen und/oder öffentliche Einrichtungen. Außerdem arbeiten sie nach den ICOM-Standards, da sie einen öffentlichen Sammlungsauftrag haben. Insbesondere auf die Klärung der Provenienzen sollten Museen besonders achten. Für Museen mit öffentlichen Archiven gelten die archivrechtlichen Regelungen des jeweiligen Bundeslandes. Wenn das Museum die Urheberrechte nicht geerbt hat, gelten besondere urheberrechtliche Schranken für Bibliotheken, Gedächtnisinstitutionen und Archive, die sie nutzen können, um mit den Werken zu arbeiten.
Was empfiehlst du Museen, die einen künstlerischen Nachlass erben?
Museen sollten genau prüfen, ob sie die Erbschaft annehmen oder doch besser ausschlagen. Die Übernahme eines künstlerischen Nachlasses bedeutet eine große Verantwortung und es ist keinem damit gedient, wenn der Nachlass ungeöffnet im Depot vor sich „hinvegetiert“, weil es keine Kapazitäten gibt, ihn zu bearbeiten. Wenn die rechtliche Situation nicht klar ist, kann es schwierig sein, damit zu arbeiten. Manchmal kann es auch besser sein, Kooperationen mit privaten Nachlasshalter*innen einzugehen, als den kompletten Nachlass zu übernehmen. Am besten ist es, wenn Museen bereits zu Lebzeiten eines*r Künstler*in eine Regelung mit allen Beteiligten – Künstler*in, Erb*innen und Institution – darüber treffen, welcher Teil eines Nachlasses an das Museum mit dem Tod übertragen werden soll.
Im Falle des Maier-Nachlasses: An welcher Stelle würden wir dich dazu holen und warum?
Am besten wäre ich bereits vor der Annahme der Erbschaft, z.B. ab der Übernahme oder der ersten Sichtung, dabei. So könnte ich prüfen, ob der Nachlass überhaupt von der Institution übernommen werden kann. Das Bauhaus-Archiv hat das Maier-Erbe ja bereits angenommen. Daher würde es jetzt darum gehen, die Rechte an den Beständen zu klären. Ich denke, gerade für eine Institution wie das Bauhaus-Archiv hat es Sinn, Nachlässe wie den von Jak R. Maier in Gänze zu übernehmen. Das Bauhaus-Archiv hat damit das gesamte Schriftgut, Fotos und andere Archivalien übernommen. Voraussichtlich lassen sich aus dem Archivgut viele Informationen über Maiers Umfeld, andere Künstler*innen und Werke gewinnen. Die Ausstellung Unpacking Jak R. Maier zur Aufbereitung des übernommenen Nachlasses zeigt schon die produktive Auseinandersetzung, die ins Grundsätzliche geht.
Du hast dich als Rechtsanwältin auf Nachlässe und besonders auf Nachlassmanagement spezialisiert. Warum gerade auf diesen Bereich?
Für mich lag es immer nahe, an der Schnittstelle von Kunst, Kulturgut und Recht zu arbeiten, da ich neben dem Jurastudium Kunstgeschichte und klassische Archäologie im Zweitstudium studiert habe. Zunächst habe ich bei der UNESCO in Paris gearbeitet, also im internationalen Bereich, zu den Themen Kulturerbe/Kulturgüterschutz, Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Als ich 2013 meine Tätigkeit als Rechtsanwältin aufnahm, befasste ich mich mit der Gestaltung eines künstlerischen Vorlasses, das heißt die langjährige Vorbereitung des künstlerischen Betriebs im Hinblick auf den Tod des Künstlers. Dies bildete einen Ausgangspunkt. So ein frühes Stadium in der beruflichen Karriere prägt einen immer. Das Thema der künstlerischen Nachlässe ist sehr vielseitig. Es umfasst eine breite Palette an Rechtsgebieten: Vom Erb- und Stiftungsrecht, Gemeinnützigkeitsrecht, über das Kunst- und Urheberrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Kulturgüterschutzrecht, Restitutionsrecht. So unterschiedlich die Fälle oft sind, kehren bestimmte Fragen im Kunst- und Kulturbereich sowie im Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftsbereich immer wieder.
Du leitest zusammen mit der Kunsthistorikerin Friederike Hauffe den Studiengang CAS „Werk- und Nachlassmanagement“ an der Hochschule der Künste in Bern. Warum unterscheidet ihr zwischen Werk und Nachlass?
Ja, der zweisemestrige Studiengang findet jährlich statt. Aktuell läuft der vierte Durchgang und die Abschlussprüfungen stehen unmittelbar bevor. In dem Studiengang geht es einerseits um das „Werk“-Management von Künstler*innen oder Sammler*innen zu Lebzeiten bzw. sammelnden Institutionen, und andererseits um das Management von Nachlässen nach dem Ableben von Künstler*innen oder Sammler*innen, oder die Gestaltung des Nachlasses noch zu Lebzeiten. Zu Werk bzw. Nachlass zählen künstlerische Arbeiten, das Schriftgut und sonstige Quellen.
Beim Werk- und Nachlass-Management zu Lebzeiten und posthum stellen sich ähnliche Fragen. Es gibt ähnliche Bereiche, in denen Entscheidungen zu treffen sind, etwa zur Positionierung und Kontextualisierung von Werken, zur Einbindung von Akteur*innen und Kooperationspartner*innen, zur Inventarisierung und zur Datenbank, zum Erstellen eines Werk- oder Sammlungsverzeichnisses, eines Überblickskatalogs oder von Publikationen zu Werk und Sammlung, zur Wahl der Rechtsform und der Gestaltung der Rechtsbeziehungen, zum Umgang mit dem Kunstmarkt und vieles mehr. Meine langjährigen Erfahrungen aus der Rechtsberatung in diesem Feld gebe ich im Rahmen des Studiengangs gerne weiter.
Der Nachlass von Jak R. Maier umfasste insgesamt 17 Umzugskartons. In diesen befanden sich auch viele Fotoalben, die seine Kunst dokumentieren. Wir haben ein Foto aus dem Nachlass ausgesucht – was fällt dir spontan dazu ein?
Ist dem Bauhaus-Archiv bekannt, wer der*die Fotograf*in war? Die Arbeit erinnert mich an Werke des französischen Künstlers Henri Matisse, an seine Scherenschnitte, hier sozusagen zum dreidimensionalen Objekt zusammengefügt.