Von tätowierten Zitronen und selbstgebauten Selfie-Filtern
Die bauhaus_werkstatt ist seit Jahren fester Bestandteil des Vermittlungsprogramms des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung. Friederike Holländer leitet den Bereich Bildung und Vermittlung und blickt auf das Konzept und die vergangenen sowie zukünftigen Entwicklungen der beliebten Workshop-Reihe.
Werkstatt – ein Begriff, der mit dem Bauhaus untrennbar verbunden ist: Wer denkt da nicht an die erfolgreiche Textilwerkstatt der Bauhaus-Frauen, die – das sei ergänzt – vielleicht lieber Architekturentwürfe gezeichnet hätten? Oder die Metallwerkstatt, aus der Bauhaus-Klassiker wie das Tee-Extraktkännchen von Marianne Brandt stammen? Nun ist das Bauhaus-Archiv ein Museum und keine Kunstschule mit einem umfangreichen Angebot für handwerkliches Arbeiten, für Lehre und Ausbildung, wie das Bauhaus vor 100 Jahren. Unsere Vermittlungsreihe bauhaus_werkstatt wagt dennoch eine Annäherung.
Jeden Samstag können die Besucher*innen des Bauhaus-Archivs nun schon seit 2015 an der offenen, kostenfreien bauhaus_werkstatt teilnehmen. Die Workshops mit wechselnden Themen basieren auf pädagogischen Prinzipien des Bauhauses und verknüpft diese mit der heutigen Sammlung des Bauhaus-Archivs. So können sich die Teilnehmer*innen anhand grafischer oder zeichnerischer Techniken und Übungen des historischen Vorkurses und angeleitet von einem großen Team freier Vermittler*innen dem Bauhaus praktisch annähern und eigene kreative Erfahrungen machen. Der Vorkurs am Bauhaus umfasste eine künstlerische Vor-Lehre zu elementaren Bedingungen jeder Gestaltung und diente der Erkundung von Persönlichkeit und Kreativität der Schüler*innen. Er sollte gleiche Voraussetzungen für die weitere Ausbildung schaffen.
Momentan finden regelmäßig bauhaus_werkstätten zu sieben verschiedenen Themen statt, die von unserem Team freier Vermittler*innen entwickelt wurden. Als Inspiration dienten einzelne Objekte, wie etwa Schmuck von Anni Albers, Techniken wie das Weben oder Zeichnen, und Übungen aus dem historischen Vorkurs. Ein besonderer Fundus dafür ist das „original bauhaus“-Übungsbuch, das anlässlich des großen Jubiläums „100 jahre bauhaus“ entstand. In ihm versammeln wir fünfzig Aufgabenstellungen, die Studierende am Bauhaus zu Beginn ihrer Ausbildung im Vorkurs bearbeiteten.
So verknüpfte der Kunstvermittler Johannes Siebler für die bauhaus_werkstätten die Aufgabe „Zitrone zeichnen“ aus dem Vorkurs von Johannes Itten mit seiner Begeisterung für eine Tätowiermaschine und Augmented Reality: Im Workshop können die Teilnehmer*innen sowohl ganz analog echte Zitronen tätowieren als auch selbst erstellte, virtuelle Tattoos auf ihrem Körper platzieren, die sie zuvor zeichnerisch an mehreren Stationen erarbeitet haben. Die Stationen sind ähnlich aufgebaut wie ein Zeichenkurs von Josef Albers. Von diesem wissen wir durch die Mappe mit sorgsam nummerierten und kommentierten Zeichnungen einer Studentin am Bauhaus, die Teil unserer Sammlung ist. 100 Jahre alte Übungen aus dem Unterricht inspirieren uns also heute zu Workshops, in denen digitale Werkzeuge das analoge Arbeiten mit Stift, Schere und Kleber ergänzen. Dieses Konzept spricht insbesondere junge Erwachsene an, wie wir festgestellt haben. Gleichzeitig gibt es weiterhin ganz analoge Workshops, in denen zum Beispiel das Prinzip des Webens erprobt oder Schmuck gestaltet wird. Ziel ist es, dass sich Besucher*innen mit unterschiedlichen Interessen in der bauhaus_werkstatt wiederfinden.
Blicke ich auf die vergangenen zehn Jahre Vermittlungsarbeit am Bauhaus-Archiv zurück, erstaunt mich tatsächlich die Entwicklung unserer Zielgruppe am meisten. Zu Beginn standen noch Kinder im Fokus, deren Sinne durch Hands-on-Erfahrungen angesprochen wurden, um neue Zugänge zur Ausstellung zu erhalten. Auch im Bauhaus-Agenten-Programm von 2016 bis 2020 waren Kinder und Jugendliche die Zielgruppe vielfältiger Projekte mit Partnerschulen. Unsere Reihe „Vorkurs Üben“ die als Begleitprogramm zur Jubiläumsausstellung original bauhaus im Jahr 2019 konzipiert wurde, richtete sich hingegen an Erwachsene, die Lust hatten, eigene gestalterische Erfahrungen zu machen. Die Workshops waren sehr gut besucht und die positiven Rückmeldungen der Teilnehmer*innen zeigten uns, dass auch Erwachsene ein großes Interesse an „hands on“- Angeboten haben.
Das Museum ist geschlossen, aber die Vermittlung geht weiter
Das Gebäude des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung wird seit 2018 denkmalgerecht saniert und erweitert. Im selben Jahr eröffnete der Projektraum the temporary bauhaus-archiv. Hier zeigen wir den Besucher*innen, woran wir hinter den Kulissen des Museums arbeiten. Wir stellen Fragen auf dem Weg zum Museum der Zukunft und präsentieren unsere Forschungen. In diesem Sinne ist das temporary bauhaus-archiv ebenso eine Werkstatt, in der experimentiert und gelernt wird – und auch die bauhaus_werkstatt findet hier statt. Samstags verwandelt sich der lange, multifunktionale Werktisch, auf dem sonst Bücher ausliegen, zum Zentrum des Projektraums und bietet Platz für die digitalen und analogen Übungen. Der große Besprechungstisch wird ebenfalls immer häufiger für interne Workshops oder für Gespräche mit Kooperationspartner*innen und Gestalter*innen genutzt. Coronabedingt konnten unsere Besucher*innen in den Jahren 2020 und 2021 zeitweise nicht an der bauhaus_werkstatt in Präsenz teilnehmen. Die Vermittlung verlagerte sich ins Digitale. So entstand auch die Idee des bauhaus_werkblatts: Wir arbeiteten Elemente aus den Workshops zu Anleitungen um, die sich Interessierte von unserer Website jederzeit downloaden können. Inzwischen gibt es 15 solcher Blätter, die von Nutzer*innen zu Hause aber auch von Schulen eingesetzt werden, sei es, um Farbkreisel selbst zu bauen, Schmuck zu entwerfen oder langsames Sehen zu üben. Wie die Präsenz-Workshops auch basieren sie auf den pädagogischen Prinzipien und Übungen des Bauhauses.
Ein weiteres digitales Angebot entstand auf der Basis eines Konzepts, das wir 2019 im Rahmen der original bauhaus-Jubiläumsausstellung zum ersten Mal angeboten haben, den „Bauhaus-Vorkurs in 180 Minuten“. Der Workshop für Erwachsene findet in deutscher oder englischer Sprache online statt. Die Teilnehmer*innen sitzen vor ihren PCs oder Laptops und probieren, angeleitet von Vermittler*innen unseres freien Teams, originale Bauhaus-Übungen aus. Beide Angebote funktionieren auch mit Rückgang der Pandemie sehr gut und werden Teil unseres Vermittlungsangebots bleiben. Im zukünftigen Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung wird die Vermittlungsarbeit wortwörtlich viel Raum einnehmen. Das gesamte, transparente Eingangsgebäude mit vier Etagen steht dann für unterschiedliche Vermittlungsformate zur Verfügung, vom Kita- und Schul-Workshop am Vormittag bis zum Familien-Workshop am Wochenende, vom Drop-In-Angebot für alle, bis zum Expert*innenn-Workshop am Abend. Analoge und digitale Angebote ergänzen sich. Im neuen Haus sollen Besucher*innen auf allen Ebenen selbst aktiv werden können. Die bauhaus_werkstatt reiht sich hier ein als eine Werkstatt der praktisch-kreativen Erfahrungen.
Die öffentliche bauhaus_werkstatt findet jeden Samstag im temporary bauhaus-archiv statt. Sie richtet sich an interessierte Besucher*innen jeden Alters. Die aktuellen Termine finden Sie im Kalender. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Die bauhaus_werkblätter können kostenlos hier heruntergeladen werden.