Ein Glück für Berlin
Anlässlich der Ausstellung zum Wettbewerb 2015 blickt Jürgen Tietz auf den prämierten Entwurf von Staab Architekten und den langen Weg zum Neubau.
Am Ende ist alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es bekanntlich noch nicht das Ende. Das mag man sich im Berliner Bauhaus-Archiv die letzten Jahre immer wieder gesagt haben, während das Team um Museumsdirektorin Annemarie Jaeggi Jahr um Jahr darauf wartete, dass ihr aus allen Nähten platzendes Museum endlich die dringend benötigte Erweiterung erhält. Dabei schien das Ziel schon vor 17 Jahren zum Greifen nahe. Damals gewann das japanische Architekturbüro Sanaa von Ryue Nishizawa und Pritzkerpreisträgerin Kazuyo Sejima den ersten Wettbewerb für die Museumserweiterung. Doch ihr Entwurf blieb Entwurf. Nur ein weiteres Kapitel in dem stetig wachsenden Archiv der ungebauten Stadt Berlin.
Erst 2015 waren der Wille und vor allem das Geld für den Neubau vorhanden, insgesamt 56,2 Millionen Euro, von denen 21,5 Millionen für die Sanierung des denkmalgeschützten Museums vorgesehen sind und 34,7 Millionen Euro für die Erweiterung. Und mit Volker Staab, der bereits 2005 an dem ersten Wettbewerb teilgenommen hatte, ist ein gleichermaßen renommierter wie erfahrener Museumsarchitekt für seinen überzeugenden Entwurf mit einem ersten Preis ausgezeichnet worden. Es spricht also vieles dafür, dass nach langen Jahren nun doch – endlich – alles gut wird für das Bauhaus Archiv / Museum für Gestaltung.
Architektonische Avantgarde
Mit seinen abstrakten Kompositionen aus weißen Kuben hat das Bauhaus die moderne Architektur des 20. Jahrhunderts so grundlegend verändert, wie keine andere architektonische Strömung, die ihm nachfolgte. Aus gutem Grund gelten die wenigen mehr oder weniger originalen Bauhaus-Bauten, die in den 1920er-Jahren in Weimar und Dessau entstanden — ungeachtet aller Überformungen und Reparaturen — als Inkunabeln der Avantgarde. Mit der Schließung des Bauhauses in Berlin zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur endete zwar das große Experiment einer anderen, ganzheitlichen künstlerischen Ausbildung in Deutschland zunächst. Doch der Geist dieses Abenteuers wirkte in den Werken seiner Protagonisten und Protagonistinnen weiter fort. Vor allem in Amerika, wo sowohl der erste Bauhaus-Direktor Walter Gropius als auch der letzte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe ihre Arbeit fortsetzen. Mit zeitlicher Verzögerung kehrten die beiden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sogar noch einmal mit Entwürfen nach Berlin zurück. Das Ergebnis waren zwei Museen von Weltrang: die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe und das Bauhaus-Archiv nach einem Entwurf von Walter Gropius. Beide Bauten liegen nur einen guten Kilometer voneinander entfernt. Beide sind in die Jahre gekommen und werden bzw. wurden instandgesetzt und zumindest teilweise modernisiert.
Welche ungeheure architektonische, städtebauliche und künstlerische Herausforderung es darstellt, angesichts des großartigen Bauhaus-Erbes einen Museumsneubau zu verwirklichen, hat sich in Dessau gezeigt. Scheitern und Chance liegen bei einer derart delikaten Aufgabe dicht beieinander. Nur hauchdünn ist der Grat des Erfolges, der zwischen beiden verläuft.
Im Wettbewerb für die Erweiterung des Bauhaus-Archivs war die Frage zu beantworten, wie es gelingen kann, die Integrität des vorhandenen Baudenkmals zu wahren und ihm den nötigen Respekt zu erweisen. Ihm nicht auf den gebauten Leib zu rücken und zugleich das geforderte Raumprogramm für die Erweiterung zu erfüllen und die notwendige funktionale Anbindung zu schaffen. Dafür hat der Berliner Volker Staab einen Entwurf vorgelegt, der sich weder in einer banalen Adaption des Vorhandenen verliert noch in dessen Gegenteil umschlägt und den Bestand durch eine aufgeregte Formensprache konterkariert. „Ein Glück“ sei daher Staabs Entwurf für Berlin, sagte Regula Lüscher, Berlins damalige Schweizer Senatsbaudirektorin, bei der Prämierung. Sie bemühte sich jahrelang eifrig darum, Berlins Stadtplanung und Architektur etwas vom Mut und der Qualität der alpenländischen Baukultur mitzugeben. Das freilich brauchte Volker Staab gar nicht mehr.
Längst ist der 1957 in Heidelberg geborene Architekt, der in Braunschweig lehrt, eine eigene Instanz in der deutschen Architektur – zumal wenn es um Museumsbauten geht. Vom Neuen Museum in Nürnberg (1991/99) über das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt (1997/2000) und die Neue Galerie in Kassel (2005/12) reicht der Bogen seiner zahlreichen Museumbauten bis zum kleinen feinen Kunstmuseum in Ahrenshoop und der im Sommer 2015 eröffneten Erweiterung des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth. Es mutet fast schon beängstigend an, mit welcher Regelmäßigkeit seine Museumsentwürfe siegreich aus Wettbewerben hervorgehen. Dabei sind diese Erfolge vor allem eins: ein Gütesiegel für die hohe ästhetische Qualität seiner Konzepte und ihre sowohl städtebauliche als auch museale Funktionalität. Immer wieder entwickelt Staab seine Ideen in einer intensiven Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen Bestand, wird seine Fähigkeit gefordert, auf die jeweils anderen Kontexte einzugehen. Eine Herausforderung, die er auch in Berlin mit Bravour bewältigte.
In einem Interview, dass ich vor einiger Zeit mit ihm für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) führen durfte, war es genau diese Annäherung an die Bauaufgabe und den Ort, die mich interessierte. Und seine Antwort von damals — so scheint es — hilft auch für das Verständnis seines erneuten Wettbewerbserfolgs weiter: „Am Anfang unserer Projekte steht immer eine Materialsammlung. Wir legen Sie mit dem Ziel an, die spezifische Eigenschaft einer Bauaufgabe herauszufinden. Das Spezifische kann beispielsweise auch der Ort mit seinen städtebaulichen, maßstäblichen, materiellen Eigenschaften oder seinen geschichtlichen Spuren sein. Es können aber auch darüber hinausgehende inhaltliche Aspekte der Bauaufgabe sein. Unsere Arbeit besteht dann darin, diese ganz unterschiedlichen Facetten im Rahmen des Entwurfsprozesses zu destillieren.“
Konsequent setzt Staab in seinem Berliner Entwurf für das Bauhaus-Archiv die Wettbewerbsanforderungen auf einem ja nicht gerade einfachen Grundstück um. Am Landwehrkanal gelegen, wird die schmale Museumszunge zwischen Lützow-Ufer sowie Klingelhöfer- und Van-der-Heydt-Straße schließlich an drei Seiten vom permanent brausenden Verkehr umschlossen. Aufgabe war es, das schon seit Langem zu klein gewordene Bestandsgebäude künftig unter anderem für das Archiv, einen großzügigen Veranstaltungsraum und ein Schaudepot umzunutzen, während im Erweiterungsbau auf einer Grundfläche von rund 6.700 m² neue Ausstellungsflächen entstehen sollen. Das denkmalgeschützte Bestandsgebäude gilt es dabei „unter Wahrung der architektonischen Qualität, des prägenden Erscheinungsbilds und der denkmalwerten Substanz“ zu sanieren und energetisch zu ertüchtigen, wie es die Auslobung formuliert. Das Besondere an Staabs Berliner Entwurf ist die souveräne Mischung aus architektonischer Selbstverständlichkeit, mit der er an den Bestand andockt, und einer klugen Akzentuierung, mit der er dem Museum einen funktionalen und stadträumlichen Mehrwert verleiht. Kein Wunder also, dass ihn die Jury unter der Leitung von Hilde Leon einstimmig zum Sieger unter insgesamt 41 Beiträgen bestimmt hat.
Was aber überzeugt so an Staabs Entwurf?
Staabs Idee zeichnet sich dadurch aus, dass sie mehrere Aspekte berücksichtigt und zu einer Einheit verbindet. Er bewahrt die Integrität des vorhandenen Baudenkmals, in dem sich der Neubau im wahrsten Sinn des Wortes weitestgehend räumlich unterordnet, und verschmilzt es zugleich mit ihm zu einer strukturellen Einheit. An der Klingelhöfer-Straße formuliert Staab in gebührendem Abstand zu den markanten Shed-Dächern der Ausstellungshallen von Gropius einen neuen Blickpunkt. Es ist ein hoher, fünfgeschossiger Turm, den die Jury als „fast zart“ wirkend bejubelte. Künftig wird er seine Wirkung in den unwirtlichen Straßenraum hinein entwickeln und dabei auf Nicolas Grimshaws Bürogebäude auf der anderen Straßenseite antworten.
Vor der gläsernen Hülle des Turmes aus Sonnenschutzverglasung und innenliegendem Sonnenschutz sollen künftig schlanke Stahlstützen „tanzen“. Es wird eine schöne Herausforderung sein, sie so filigran, so zart und elegant hinzubekommen, wie es der Entwurf verheißt, um die dezente skulpturale Gesamtwirkung des Baus zu erzielen. Im besten Sinne findet in diesem konstruktiven Experiment die Idee des Bauhaus ihre Fortsetzung, das ja selbst als ein experimentelles Architekturlabor zu verstehen ist.
Über diese neue Berliner Landmarke, diesen leuchtenden gläsernen Turm wird das Museum künftig gut erkennbar im Erdgeschoss erschlossen werden, ein Gegenpol zur alten Erschließungsrampe, die ins Innere des Museumsareals führte. Zusätzlich zum Entree sollen im ersten Obergeschoss ein digitales Studio sowie die Museumspädagogik (zweites und drittes Obergeschoss), eine Lounge und ein Dachgarten in dem Glasturm Platz finden. Hier wird die Überarbeitung des Entwurfes, die nun im Dialog mit dem Bauhaus-Archiv erfolgen muss, ebenso wie in anderen Bereichen des neuen Museums möglicherweise noch weiterentwickelt werden.
Mit dem Materialdreiklang aus Glas, geschliffenem Sichtbeton und Stahl, der auch den angrenzenden eingeschossigen Riegel entlang der Klingelhöfer Straße kennzeichnet, fügt sich der Neubau gut zum helleren Bestand und hebt sich gleichwohl dezent von ihm ab. Am Ende dieses neuen, flachen Riegels wird ein öffentlich zugängliches Café die Besucher und Besucherinnen empfangen. Unter einer Decke von sieben Metern lichter Höhe soll sich ihnen von dort ein Blick auf den denkmalgeschützten Bestand des Gropiusbaus bieten – auch für all diejenigen, die das Museum nicht besuchen möchten.
Über den Turm gelangen die Besucher und Besucherinnen künftig auch in das Sockelgeschoss hinab, das u-förmig an den Bestand andockt. Dabei entsteht zudem ein neuer zentraler Lichthof mit Wasserbecken. Im Außenraum über eine Treppenlage mit den höher liegenden Arealen verbunden, bildet er das räumliche Herzstück des Entwurfs. Es ist ein geschützter, geradezu intimer Ort. Im Zusammenspiel mit den neuen Ausstellungsräumen entsteht dabei eine Art moderner Kreuzgang, ein Hofhaus mit hoher Aufenthaltsqualität, an dem alt und neu harmonisch zusammengefügt werden. Für die Verbindung zwischen den beiden Bauteilen sorgt auch eine leicht ansteigende Rampe im Süden. Sie wird im Inneren des Museums eine direkte Verbindung zur heutigen Eingangshalle herstellen.
Mit seinen geschlossenen Rückwänden schottet sich das u–förmige Sockelgeschoss der Ausstellungsebene bewusst von der lärmenden Umgebung ab, bietet den Besuchern und Besucherinnen aber bei aller Konzentration einen freien Blick auf den Innenhof. Hier sollen in diesen neuen Ausstellungsräumen des Museums die einzigartigen Bestände des Berliner Bauhaus-Archivs gezeigt werden – unter deutlich verbesserten klimatischen Ausstellungsbedingungen als bisher. Für Sonder- und Wechselausstellungen können derweil einzelne Bereiche abgetrennt werden. Es sei, lobt die Jury, „das erklärte Ziel des Entwurfs, den Bestand zu stärken und gleichzeitig einen wahrnehmbaren, zeichenhaften Eingang für die abgesenkten Ausstellungsflächen zu schaffen.“
Schon seit vielen Jahren erfreut sich die Bauaufgabe Museumserweiterung – nicht nur in Deutschland – großer Beliebtheit. Die Gründe dafür sind vielfältig: steigende Besucherzahlen, stetig wachsende Sammlungsbestände, veränderte museale Präsentations- und Vermittlungsformen sowie steigende konservatorische Anforderungen sind nur einige Aspekte für diese neue Blüte der Museumserweiterungen. Dabei unterscheidet sich das Bauen im musealen Bestand entscheidend von „normalen“ Erweiterungen und Umbauten. Grund dafür ist, dass die meisten Museumsgebäude bereits im Blick ihrer architektonischen Schöpfer und Schöpferinnen selbst als gebaute Kunstwerke verstanden wurden. Die Auseinandersetzung mit einem solch hochwertigen Baukunstwerk kann dann auch zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führen. Im schlimmsten Fall negieren sich Alt- und Neubau gegenseitig.
Es bedarf daher großer Erfahrung und einer besonderen künstlerischen Gestaltungskraft, den Dialog zwischen alt und neu auf Augenhöhe zu führen, damit weder das Neue noch das Alte Schaden aneinander nehmen. Da ist es gut, dass für Volker Staab „das Radikale oder Explizite nicht per se eine Qualität“ ist, wie er in unserem Interview für die NZZ ausführte. Stattdessen zielt er darauf, „den Begriff des Kontextes möglichst weit zu fassen.“ Dass dabei stets die Gefahr des Kompromisses besteht, ist ihm bewusst. „Wonach ich noch immer suche, ist das Kompromisslose, ohne dadurch den komplexen Kosmos der Randbedingungen einfach nur zu verkleinern.“ Es scheint, dass er diesem Ideal mit seinem Entwurf für das Bauhaus-Archiv sehr nahe kommt. Dabei steht seine Architektur zugleich für einen anderen Begriff von Moderne, als Gropius ihn hatte. Sie ist reifer geworden, souveräner und ruhiger. Sie diktiert dem Ort nicht mehr aufgeregt ihre Wirkung, sondern sie verhält sich dialogisch zu ihm. Sie lässt ihm Raum zum Atmen. Mehr noch: Mit seiner Idee für die Erweiterung des Bauhaus-Archivs hat Staab Berlin eine Blaupause für die hohe Qualität einer Ergänzung geliefert, die auch der nächste große Museumswettbewerb in der Stadt anstreben muss, wenn es an der Potsdamer Straße darum geht, das Museum des 20. Jahrhunderts zwischen Hans Scharouns Philharmonie und Ludwig Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie einzupassen: gleichermaßen souverän, zurückhaltend und doch markant wie Staabs Erweiterung des Bauhaus-Archivs. Eben ein Glück für die Moderne, ein Glück für’s Bauhaus-Archiv, ein Glück für Berlin.
Der Artikel erschien 2015 in der Publikation „Moving forward“ des Bauhaus-Archivs und wurde aktualisiert.