Wie man aus einem Bauzaun ein Kunstwerk macht
Auf dem Gelände des Bauhaus-Archivs ist seit der Schließung 2018 viel los. Es wird gehämmert und gebohrt. Es gibt viel Schmutz und Lärm. Als Museum für Gestaltung wollten wir auch während der Bauarbeiten etwas Kunstgenuss anbieten und haben das spanische Künstler*innenkollektiv Boa Mistura gebeten, gleich dreimal unseren 240 Meter langen Bauzaun zu verschönern.
Boa Mistura stammt aus dem Portugiesischen und heißt zu Deutsch „gute Mischung“. Als ich 2014 zum ersten Mal die Mitglieder des Künstlerkollektivs aus Madrid im Rahmen eines Kunstfestivals im öffentlichen Raum in Belgrad beim Malen sah, war ich von ihrer Art, urbane Kunst zu kreieren begeistert. Nicht nur, dass die Farben dabei offensichtlich gut gemischt waren und gerade dadurch der Anblick des zu entstehenden Kunstwerks besonders faszinierte. Es war auch interessant zu beobachten, wie die vier Jungs, die in der Zwischenzeit ihr Team durch zwei Kolleginnen erweitert haben, mit Leidenschaft und stets gut gelaunt ihrer Arbeit nachgingen.
Ihre großformatige Malerei mit starken Botschaften sorgte bereits in vielen Ländern und Städten für Aufsehen, darunter Bogota, Mexico City, Sao Paulo oder New York. Im Jahr 2017 arbeitete ich mit ihnen in Wien zusammen, wo sie für das neu zu eröffnende Weltmuseum den Bauzaun vor der Hofburg gestalteten. In Berlin waren sie schon einmal in den 2000er-Jahren tätig, als sie die Fassade des East Side Hotels in Friedrichshain mit einem „I love Berlin“-Motiv bemalten. Dieses Mural wurde kurze Zeit danach durch eine Werbung ersetzt. Nun war die Gelegenheit gekommen, sie nicht nur einmal, sondern dreimal in Berlin zu präsentieren.
Am Ende des großen Bauhaus-Jubiläumsjahres 2019 schufen sie für uns ihr erstes Werk. Inspiriert wurden sie dafür von Walter Gropius und seinem Zitat „Den Menschen von heute die Wohnung von heute“ aus dem Jahr 1930. Es ist der Titel eines Aufsatzes, in dem Gropius für die Einheit von modernem Leben und Wohnen plädiert. In einer Zeit, in der viele Wohnungen noch im Stil früherer Epochen ausgestattet waren, fordert er eine funktionale Einrichtung der Wohnung „… in klaren, knappen und einfachen Formen, die dem Rhythmus unseres heutigen Lebens entsprechen“. Mehr als 100 Jahre später ist dieser Anspruch nach wie vor relevant, denn auch heute geht es darum, unsere Umwelt den aktuellen Herausforderungen entsprechend zu gestalten. Die Typografie des ersten Kunstwerks gestalteten Boa Mistura in Anlehnung an die Schrift ITC Bauhaus von Herbert Bayer aus dem Jahr 1926. „Wir wollten uns von den bewährten Schriften entfernen und etwas Originelles machen, das zum Bauhaus-Archiv passt“, so die Künstler*innen.
Ihr zweites Werk, das 2020 entstanden und seitdem in der Klingelhöferstraße zu sehen ist, haben Boa Mistura dem zweiten Bauhaus-Direktor Hannes Meyer gewidmet. Die Gestaltung seines Zitats „Bauen und Gestalten sind eins“ erfolgte ebenfalls mit Typografie, inspiriert von Josef Albers’ Kombinationsschrift aus dem Jahr 1928. Diese Schrift basiert auf der Kombination von Grundformen (Kreis, Viertelkreis, Quadrat), aus denen Albers eine Serie von zehn Standard-Elementen entwickelt hat. Die eingesetzten Farben wurden von den Textilien von Gunta Stölzl abgeleitet.
„Die Bauhaus-Künstler*innen sind die Mütter und Väter unseres kreativen Universums“, sagen Boa Mistura. Das Bauhaus sei ein Bezugspunkt für ihre Arbeit und habe indirekt viele ihrer Werke beeinflusst. „Es ist ein großes Geschenk und auch eine Verantwortung, mit den Werkzeugen zu arbeiten, die uns diese Meister*innen hinterlassen haben“, so die Madrider Künstler*innen.
Noch vor der Wiedereröffnung des Bauhaus-Archivs 2025 soll ein drittes Kunstwerk von Boa Mistura entstehen, welches im Zeichen von Mies van der Rohe stehen wird. Mehr Informationen zu den Künstler*innen finden Sie unter www.boamistura.com.