Wie übersetzt man Bauhaus in Klang?
Nach der ersten Staffel von About Bauhaus wurde schnell klar, dass noch viel mehr Geschichten darauf warten, erzählt zu werden. Man hatte bislang nur an der Oberfläche gekratzt, also ging es direkt weiter in die zweite Staffel! Adriana Kapsreiter, Host des Podcasts, und Ralf Merten, Musiker, Komponist und Gründer des Kubik Kollektivs, erzählen, wie sie den Klang für die neue Staffel gefunden haben.
Adriana Kapsreiter: Für mich hieß das: Ein neues Konzept kreieren, das mehr in die Tiefe geht und dennoch Gespräche ermöglicht, die sich nicht wie Universitätsvorlesungen anfühlen. Ich wollte die gesamte Bauhaus-Geschichte erzählen, mit einer Folge für jedes Jahr.
Jede Folge sollte dabei einem eigenen Thema gewidmet sein, das in dem jeweiligen Jahr eine besondere Rolle spielte. Doch dieses Mal sollten die Geschichten über das Bauhaus nicht nur in Gesprächen und Worten vermittelt werden. Die Schule für künstlerische Gestaltung verdient eine Prise künstlerischen Geist, etwas Kreatives, Neues. Und bei einem Podcast ist eine künstlerische Gattung natürlich besonders naheliegend: Musik! Die Musik sollte eine andere Ebene des Hörens schaffen und eine Stimmung kreieren, um die Zeitreise in die Jahre 1919 bis 1933 noch intensiver gestalten zu lassen. Wenn in einem guten Gespräch Magie liegt, weil sich dadurch Gedankenwelten entfalten, ist Musik gerade deshalb voller Zauber, weil sie sich den Worten entzieht und trotzdem erzählt, ganz unmittelbar.
Musik als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Adriana Kapsreiter: Dass Musik auch am historischen Bauhaus eine bedeutende Rolle gespielt hat, passt dazu natürlich ganz wunderbar. Musik hören, Musik spielen, Musik komponieren, Musik in andere Kunstgattungen übersetzen – all das war Teil der Bauhaus-Geschichte und noch mehr. Und obwohl ich als Kunsthistorikerin die Geschichte liebe und historische Rekonstruktionen so sehr schätze, war für mich klar: Die Musik für die zweite Podcast-Staffel soll nicht klingen wie zu Zeiten des Bauhauses, aber sie soll den historischen Geist und die Stimmung der jeweiligen Jahre und ihre Themen miterzählen. Sie soll ein Stück Vergangenheit und ein Stück Gegenwart zusammenbringen, eine Brücke von Damals zu Heute.
Doch wie geht man das an? Ich musste jemanden finden, der meine Vision einer Art Brückenmusik zwischen Bauhaus und Heute nicht nur versteht, sondern auch musikalisch umsetzen kann. Und dann habe ich Ralf Merten gefunden, ein wahrer Glückstreffer für das Projekt, in vielerlei Hinsicht. Er ist Komponist und Multiinstrumentalist, arbeitet als Künstler unter dem Pseudonym Kobat, komponiert und produziert Filmmusik, Theatermusik, und Musik für Marken, kennt also alle möglichen Spielarten und Zwecke, die Musik entfalten kann. Und das Wichtigste: Er hat meine Vision sofort verstanden.
Gemeinschaft und Improvisation als musikalische Prinzipien
Ralf Merten: Bei der Ideenfindung für die Musik, die sich dem Thema Bauhaus aus historischem, vor allem jedoch aus zeitgenössischem Blickwinkel nähert, wurde uns schnell klar, dass die Annäherung nicht in dem Versuch liegen kann, den historischen Klang, die Instrumentierung und die Kompositionstechniken einer Epoche zu reproduzieren, die durch Umbruch und Radikalität die Grundlagen für die sogenannte Moderne schuf. Diesen Umbruch historisch nachzustellen oder auf den aktuellen Stand zeitgenössischer Musik anzuwenden, wäre vermessen und würde auch die Funktion einer illustrierenden Musik für einen Podcast nicht entsprechend erfüllen. Eher stellte sich die Frage, welchen Aspekt des Bauhauses man genau erzählen will.
In Gesprächen und Brainstormings mit Adriana Kapsreiter kristallisierte sich heraus, dass die Entstehung und die ersten Jahre des Bauhauses in Weimar maßgeblich durch den Geist der Gemeinschaft und des Experiments geprägt waren. Diese beiden Säulen sollten die Grundlage für die Musikkonzeption bilden. Versucht man den Geist der Gemeinschaft auf die Musik zu übertragen, bieten sich bandartige Strukturen, Improvisation und eine kollektive Arbeitsweise an. Eine Arbeitsweise, wie sie im Jazz, insbesondere dem Freien Jazz, dem Krautrock und teilweise in der elektronischen Musik praktiziert wird.
Als Setting war somit gesetzt, die Musik nicht herkömmlich komponieren zu lassen, sondern direkt während der Aufnahmesession im Kollektiv zu entwickeln – nicht im Sinne einer historischen Annäherung an die legendäre Bauhauskapelle, sondern mit dem Ziel, improvisierte Musik mit traditionellen, aber auch zeitgenössischen Mitteln wie Elektronik, granularen Effekten und Modularsynthesizern aufzunehmen, die nach dem Geist des Aufbruchs der ersten Bauhäusler*innen in Weimar klingt, die Gespräche des Podcasts untermalt, illustriert und ganz ohne Worte vom Bauhaus erzählt. Um zu vermeiden, dass bei der Improvisation Stereotypen und stilistische Klischees reproduziert werden, suchte ich für dieses Experiment sechs weitere Musiker aus, die in dieser Formation noch nicht zusammengespielt haben, unterschiedliche Backgrounds haben, und zudem selbst als Improvisierende und Komponisten tätig sind – das Kubik Kollektiv.
Im nächsten Schritt ging es darum, wie wir durch kollektive Improvisation eine Musik schaffen, die nicht wahllos klingt und nur vage um das Thema Bauhaus kreist, sondern konkret verschiedene Aspekte des Bauhauses, sowie die unterschiedlichen Phasen der Schule in Musik überträgt. Ein zentraler Aspekt unserer Übersetzung in Musik sollte der Klang, und damit die Wahl der Instrumente und deren Bearbeitung sein. Durch die Verwendung experimenteller Spieltechnikern und Verfremdungen wie Präparation der Gitarren- und Klaviersaiten, sowie der Trommeln mit entsprechenden Materialien und der Verwendung von Objets Trouvés wurden inhaltliche Vorgaben wie Holz- oder Metallwerkstatt umgesetzt. Der Modularsynthesizer und die anderen elektronischen Klangerzeuger erzählen dagegen von der maschinellen Fertigung und der Serie. Des Weiteren übertrugen wir die zu erzählenden Themen oder den entsprechenden Subtext auf harmonische Vorgaben, Skalenmodi und rhythmische Strukturen.
Zuletzt bedurfte es bei manchen Themen auch einer Strukturierung des Zusammenspiels durch Regeln, die beispielsweise festlegten, in welcher Besetzung begonnen wird, welches Instrument dominant ist, welches begleitet, oder in welcher festgelegten Reihenfolge auf die Phrase des Vorgängers reagiert wird. Aber auf welches gemeinsame Wissen und welche Assoziationen zum Bauhaus konnten wir uns als Musiker beziehen und verständigen?
Es wurde klar, dass es hierzu konkreter Vorgaben bedurfte.
Das Kubik Kollektiv und der Bauhaus-Geist in der Musik
Adriana Kapsreiter: Es war offensichtlich, dass die Vorgaben, die Ralf Merten zur Vorbereitung des Kubik Kollektivs brauchte, nicht zu textlastig und verkopft sein durften. Oder in seinen Worten: „Die Musiker sollen auf einer intuitiven, künstlerischen Ebene angesprochen werden.“ Deshalb habe ich versucht, das Wesentliche jeder Folge, ihren eigentlichen Inhalt, auf den Punkt zu bringen und in wenigen Stichworten zu umreißen. Und natürlich konnte ich mit Bildern vom Bauhaus arbeiten, mit Zeichnungen, Gemälden, Entwürfen, Häusern, Teppichen, Gebrauchsgegenständen – dem ganzen künstlerischen Kosmos der Schule. So entstand eine Art „Portfolio zur musikalischen Inspiration“.
Ralf Merten: Dieses Portfolio erhielten die Musiker vor der Session, um allein für sich zu jeder Folie eine Klangvorstellung, harmonische Strukturen, Rhythmik und Tonalität vorzubereiten. Sie trafen dann im Studio zum ersten Mal in dieser Konstellation zusammen.
Als Ort für diese Aufnahmesession schwebte mir ein Tonstudio mit einer Arbeitsatmosphäre und einer Raumeinteilung wie in den Krautrockstudios der 70er Jahre, insbesondere dem Inner Space Studio der Band Can und dem Conny Plank Studio vor, wo ich vor 25 Jahren meine erste Aufnahme mit Erwin Ditzner als Schlagzeuger gemacht hatte. Beide Studios existieren leider nicht mehr. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass es keine Raumtrennung und keine Schallkabinen für das Schlagzeug gab, sondern die ganze Band zusammen in einem Raum aufnahm. Jede Übersprechung zwischen den Mikrofonen der einzelnen Instrumente wurde mit aufgenommen und konnte nachträglich nicht mehr separiert werden. Diese Arbeitsweise war mir wichtig, da die Spannung einer kollektiven Improvisation davon lebt, dass kein Ton rückgängig gemacht werden kann. Jede Reibung, jeder scheinbare Fehler, bleibt unverrückbares Element der Aufnahme.
Fündig wurde ich bei der Kommune 2010, einem Tonstudio in Offenbach, in dem überwiegend Bands aufnehmen. Der große Aufnahmeraum hat durch seine Deckenhöhe einen prägenden Raumklang und bot zudem genügend Platz, um alle Musiker samt Instrumentarium im Kreis anzuordnen.
Adriana Kapsreiter: „Studio“ war für mich bisher das Tonstudio, in dem die ersten Staffel von About Bauhaus aufgenommen wurde. Das Studio Kommune 2010 in Offenbach hingegen war ganz anders und eher so, wie man in einem Film aus den 1970ern ein Tonstudio für experimentelle Musik darstellen würde: In einem alten Industriekomplex gelegen, mit weiß gekalkten Backsteinwänden und alten Teppichen, mit dem rauen Charme einer ehemaligen industriellen Produktionsstätte: ein Setting, das den Bauhäusler*innen sicher gefallen hätte.
Jeder der Musiker hatte an seinem Platz verschiedene Instrumente aufgereiht, sorgfältig ausgewählt für die spezielle Aufnahmesession. Und auch ich hatte meine Aufgabe während der Aufnahme: Vor jedem Stück erzählte ich noch einmal in wenigen Sätzen, worum es mir beim jeweiligen Thema ging, Aspekte, die mir wesentlich erschienen für die Musik.
Was während der Aufnahmen entstand, ist für mich tatsächlich ein Stück Bauhaus-Geist gewesen: die Musiker, allesamt handwerkliche Könner ihres jeweiligen Instruments, bewegten sich in neuen, freien und maximal kreativen Gefilden und schufen so gemeinsam etwas Neues – inspiriert von Geschichten aus der Moderne.
Kreative Klangwelten mit modernem Touch
Ralf Merten: Erst während der Aufnahmesession kamen die unterschiedlichen Interpretationen der Musiker zusammen, ergänzten sich, kollidierten miteinander, verbanden sich zu einem Ganzen, schufen Kontraste und Reibung. Aus dieser Spannung entstand kollektiv erschaffene Musik, die versucht, möglichst viele Aspekte eines entsprechenden Themas aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erzählen.
Die so entstandene Musik des Kubik Kollektivs lässt sich irgendwo zwischen den Polen Jazz, Elektronik und Krautrock einordnen, und lotet auch Extreme wie Punk oder eine Improvisation über eine Bachkantate aus – wobei es uns wichtig war, keine Musik zu spielen, die klar einem einzelnen Genre zugeordnet werden kann, sondern eine Fusion der zitierten Stilistiken ist. Die Bachkantate wird vom Saxophon vorgetragen und mit einem analogen E-Piano aus den 70er Jahren begleitet, welches durch digitale granulare Effektgeräte von heute verfremdet wird. Der Punk-Groove wird von einer Synthesizersequenz getrieben, welche Assoziationen an die Neue Deutsche Welle weckt, aber doch von einem aktuellen Modularsynthesizer stammt. Auch die Grenzen zwischen freiem akustischem Jazz und zeitgenössischer elektronischer Musik verschwimmen mit dem Ziel, durch die unterschiedlichen Einflüsse und Persönlichkeiten der beteiligten Musiker doch einen eigenständigen Sound des Kubik Kollektivs zu schaffen, der im besten Fall von den Hörer*innen mit dem Bauhaus assoziiert wird.
Adriana Kapsreiter hostet den Podcasts About Bauhaus, für den das Kubik Kollektiv, mit Ralf Merten als Gründer, die Musik beigesteuert hat. Die Musik ist auch mit dem Filmprojekt Bauhaus Forever der Regisseurin Nico Weber verbunden.